ED II: Gefühle, Bilder

Schlagworte

Gefühle, Bilder, Polaritäten, UND, Erfahrungsdimensionen, Tiefungsebenen

Einsatz in der CoreDynamik

Das Modell der sechs Erfahrungsdimensionen, früher Tiefungsebenen genannt, ist eines der zentralen Modelle in der CoreDynamik. Es ist grundlegende Orientierung für jedes CoreDynamik-Format, vom Coaching über Therapie bis zu jedem Seminar. Erfahrungsdimension II umfasst den Bereich der Gefühle, Bilder und der Polaritäten. Auf dieser Ebene loten wir unsere Gefühle zu einem Thema aus, begegnen unseren inneren Bildern und Assoziationen dazu.

Definition

Erfahrungsdimension II umfasst unsere Gefühle, unsere bildhafte Wahrnehmung von Situationen und Empfindungen und die Integration von Polaritäten.

Bild

Erläuterung

Erfahrungsdimension II stellt eine Brücke dar, die unsere bewussten Gedanken und unser bekanntes Selbstbild verbindet mit unserem unbewussten Erleben und unseren vergessenen oder verdrängten Erfahrungen. Sie ist auch der Übergang von logisch-rationalem Denken und eindeutigen Konzepten in die reale Komplexität und Vielschichtigkeit unseres menschlichen Daseins.

Unser bewusstes Wahrnehmen und Denken erfasst nur einen Bruchteil der Realität (geschätzt 0,1 %), die auf unsere Sinne einströmt und unbewusst von unserem Gehirn gefiltert und verarbeitet wird und entsprechende Aktivierungszustände in unserem Körper auslöst. Dieser Filter unseres Bewusstseins ist notwendig für unsere Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, uns auf eine Sache zu konzentrieren, Entscheidungen zu treffen und unser Handeln in eine Richtung zu lenken, da wir auf Dauer mit der Komplexität aller Eindrücke nicht fertig werden würden.
Glücklicherweise können wir uns jedoch auch die unbewusst gespeicherten Erfahrungen zugänglich machen. Sie stellen unsere reiche Innenwelt dar, ein Ort voller Inspiration und die Quelle für Poesie und Kunst. Und sie sind auch der Ort, an dem unverarbeitete Erfahrungen „geparkt“ sind, die aber dennoch auf unser Empfinden und Handeln wirken. Manchmal ist es Leidensdruck, der Menschen dazu bringt, sich ihrem Unbewussten zuzuwenden. Latente Unzufriedenheit, ein scheinbar unlösbarer Konflikt, die Unfähigkeit zu Entscheiden, körperliche Beschwerden … Oder es sind neugieriger Forschergeist oder die Suche nach tiefer Inspiration, die uns den Weg nach Innen antreten lassen.

Bilder

Neben dem direkten Weg über Körperempfindungen (s. Erfahrungdimension IV), sind es Bilder, die uns den Zugang ermöglichen. Unsere bildhafte Verarbeitung von Erlebnissen kennen wir aus Träumen. Aber auch die Arbeit mit Bildmotiven, zum Beispiel mit einer intuitiven Skizze oder auch mit einem gewählten Bild, bietet ein reiches Feld zur Selbsterkenntnis durch Assoziation und die Verbindung mit Empfindungen und Gefühlen. Letztlich stehen Bilder stellvertretend auch für andere sensorische Assoziationsanker wie Klänge, Düfte, Hautempfindung oder ein Geschmack (der Duft frischgemähten Grases versetzt mich sofort zurück in meine Kindheitsbesuche bei den Großeltern).

Gefühle, Emotionen, Bewusstseinsqualitäten

Gefühle sind eine weitere Brücke zu unserem Unbewussten. Tatsächlich spielt sich ein recht großer Teil unseres Gefühlslebens unbewusst ab, da in unserer Kultur der direkte Gefühlsausdruck nicht gelernt wird und oftmals sozial üblich ist. So geschieht es, dass ein Gefühl aufsteigt (z.B. ich fühle mich von der Chefin* ungerecht behandelt und bin wütend), aber keinen Ausdruck findet. Die unbewusst aufgebaute Spannung entlädt sich dann möglicherweise in Kontakt mit einem Kollegen oder daheim in der Familie. Dieser umgeleitete Gefühlsausdruck kann Beziehungen belasten. Denn Gefühle sind soziale Kräfte, durch die wir als Individuen im Kontakt spürbar werden. Sie helfen uns, unsere Interaktionen zu gestalten und mit Menschen in Beziehung zu stehen. Wenn Gefühle nicht ausgedrückt, sondern unterdrückt und weggeschoben werden, oder an anderen Stellen scheinbar ohne Kontext hervorkommen, sind wir für andere schwer einschätzbar.

Fünf Gefühle sind überall auf der Welt geläufig:

  • Freude
  • Wut
  • Trauer
  • Angst
  • Scham

Gefühle sind innerlich spürbar und sie drängen in den Ausdruck.Dabei hat jedes Gefühl zugrundeliegende Bewegungsqualitäten:

  • Freude: nach vorne, auf etwas zu, in die Weite
  • Wut: nach vorne, von etwas weg oder durch etwas hindurch
  • Trauer: verhinderte Hinbewegung, erschlaffen
  • Angst: Rückzug oder Flucht vor etwas oder Erstarrung
  • Scham: Selbstschutz, Wunsch nach Unsichtbarkeit

Gefühle entstehen durch das Erleben eines Impulses im Innen oder im Außen und unsere Interpretation dessen. Somit beeinflussen und gestalten wir Gefühle über Erfahrungsdimension 1 (Gedanken).
Beispiel: Ich sitze im Café und meine Freundin kommt nicht. Eine ¾ Stunde lang sitze ich da und warte. Je nach Interpretation der Situation entstehen unterschiedliche Gefühle:

  • Wut: Das ist falsch, dass sie nicht kommt und sich nicht meldet. Ich bin sauer!!!
  • Trauer: Oh wie schade! Ich hätte sie so gerne gesehen!
  • Freude: Wie cool! So habe ich mal eine ¾ Stunde richtig schön in der Sonne gesessen und nichts getan.
  • Angst: Oh nein! Nicht, dass ihr etwas passiert ist, das wäre ja furchtbar!
  • Scham: Ich bin falsch. Wahrscheinlich habe ich mir die Verabredung mal wieder falsch aufgeschrieben.

Im Verlauf unserer Entwicklung gibt es immer wieder Gefühlszustände, die keinen Ausdruck finden. Wenn wir uns von einer Situation überfordert fühlen und die Intensität nicht aushalten, springen psychische und körperliche Schutzmechanismen an, um die Erfahrung für uns erträglich zu machen. Wir können die emotionale Ladung und die Spannung dann nicht mehr fühlen, sie bleiben aber in unserem Organismus gehalten. Vivian Dittmar hat für diese „eingefrorenen“ Gefühle den Begriff „Emotionen“ geprägt, der sonst oftmals synonym für Gefühle verwendet wird. In unserem „emotionalen Rucksack“ tragen wir alte Gefühle mit uns durch’s Leben, die nie zu einem Ausdruck und damit zu einer Entladung der darin gebundenen Spannung gefunden haben.

Den Gefühlen sind Bewusstseinsqualitäten und Ersatzgefühle eng verwandt. Bewusstseinsqualitäten sind verschiedene Gesichter der Liebe. Liebe sehen wir als mehr als ein Gefühl, das einem Erregungsbogen folgt. Es ist auch eine Entscheidung. Weiterhin aus der Liebe zu handeln, auch wenn das Gefühl grade nicht intensiv ist. Dann ist Liebe eine Haltung aus der heraus wir die Welt wahrnehmen und uns in ihr bewegen und in Interaktion treten. Ein Gesicht der Liebe ist das Mitgefühl. Ein Weiten des Herzens , wodurch ich die Gefühle anderer Menschen und Wesen aufnehmen kann und mitschwingen kann. Im Unterschied zum Mitleid, lasse ich das Gefühl durch mich hindurchfließen und mache es nicht zu meinem. Ein weiteres Gesicht der Liebe ist die Dankbarkeit. Die Bereitschaft und die Fähigkeit anzunehmen, was das Leben mir schenkt und mein Herz damit zu weiten.
Ersatzgefühle sind Varianten der Grundgefühle. So stecken hinter dem Neid gerne die Trauer, etwas selbst nicht zu haben und die Wut darüber, dass es so ist. Während hinter dem Trotz möglicherweise die Angst wohnt, nicht gesehen und angenommen zu sein, wie wir sind. Eifersucht kann Verlustangst sein und die Angst, nicht zu genügen, mit einem Überzug von Wut.

Integration von Polaritäten

Eine grundlegende Erweiterung unseres engen Selbstkonzeptes auf der Ebene von Erfahrungsdimension II geschieht durch die Integration von Polaritäten. Wir Menschen verwenden eine Menge Energie darauf, uns an ungewollten oder scheinbar unvereinbaren Eigenschaften, Motiven oder Handlugnsimpulsen abzuarbeiten und die unerwünschte Seite zu unterdrücken und zu verdrängen. In der Polaritätenintegration werden als widersprüchlich empfundene persönliche Eigenschaften wie z.B. feige UND mutig, offen UND rückzugsbedürftig, liebevoll UND misstrauisch als zusammengehöriges Paar betrachtet. Wir setzen sie als zwei Seiten derselben Medaille miteinander in Bezug, loten beide in ihrer Empfindungsqualität aus und integrieren sie als Pole eines lebendigen Kontinuums. Ein wichtiger Aspekt der Polaritätenintegration in der CoreDynamik ist das Sehen, Annehmen und Würdigen unserer Destruktivität, des Dunklen in uns, unseres Schattens. Wir sind nicht nur „gut“ und es ist ein illusorisches Ziel, ausschließlich gut sein zu wollen. Verdrängte Schatten können zu unkontrollierter Destruktivität führen. Das Annehmen unserer dunklen Seiten macht uns vollständiger, ehrlicher, lebendiger und resonanzfähiger im Kontakt mit anderen ebenso unperfekten Individuen.
Wir Menschen sind widersprüchliche, ambivalente und komplexe Wesen. Die heilende Kraft des UND macht unseren Herzraum weit genug, um unsere ganze Lebendigkeit darin aufzunehmen.

Besonderheiten in der CoreDynamik

Anliegen der CoreDynamik-Ausbildung ist, die inneren Räume zu weiten. Zum Beispiel durch das UND, das scheinbare Zwickmühlen in ein weites Feld der Möglichkeiten verwandelt.
Und auch als sicherer Raum, um das gesamte Spektrum unserer Gefühle auszuloten, es kennenzulernen und zu erkunden.
Wir unterscheiden nicht zwischen positiven und negativen Gefühlen, sondern verstehen diese als Orientierungsformen unseres lebendigen Organismus, die nach Ausdruck verlangen. Hierfür geben wir Raum und unterstützen Menschen dabei, den Zugang zu ihren Gefühlen zu finden und sie in der Intensität frei zu setzen, die grade möglich und sinnvoll ist. Dabei wächst die Kompetenz im Umgang mit Gefühlen bei sich selbst und anderen. Zum Beispiel durch die Fähigkeit zu unterscheiden, ob ein Gefühl zu der gegenwärtigen Situation gehört oder durch gespeicherte biografische Emotionen und Muster gefärbt, gedrosselt oder verstärkt wird (Erfahrungsdimension 3). Und auch die Erfahrung darin zu navigieren: tiefer hinein in eine Gefühlswelle oder auch wieder hinaus durch ein gedankliches Verstehen und Einordnen des Geschehens (Erfahrungsdimension 1).
Hilfe bei der bewussten eigenverantwortlichen Dosierung von Intensität geben das wachsende Körperempfinden und Körperbewusstein im Rahmen des CoreDynamik-Weges, sowie ein schrittweises Üben von Aktivierung und Selbstregulation (Erfahrungsdimension 4) .
Wichtig dafür ist die sehr aufmerksame, klare und wohlwollende Begleitung in Pacing und Leading. Menschen werden nicht über ihre eigenen Grenzen hinübergedrängt, sondern in sicheren Settings durch Impulse eingeladen ihren eigenen Weg im eigenen Tempo zu erforschen. Die Gruppe bietet dafür im Rahmen der Ausbildung ein tragendes, ermutigendes Feld (Erfahrungsdimension 5).
Um die Angst zu nehmen, sich in einem Gefühl zu verlieren, legen wir besonderen Wert auf das Verstehen und das praktische Erleben und Reflektieren der natürlichen Erregungskurve, die anwächst und auch wieder abschwillt (s. auch Kontakterregungszyklus). Es ist wichtig, die Erfahrung zu machen, dass wir in Gefühle hineingehen können und auch wieder herausgehen. Sie beherrschen uns nicht. Das Zeugenbewusstsein ist immer dabei und die Fähigkeit zu navigieren wächst. Die Sorge, einem Gefühl ausgeliefert zu sein, weicht der zunehmenden Selbstregulationsfähigkeit und Selbstermächtigung.

Dies ist ein Übungsweg, um zu lernen, im Alltag Gefühlen unmittelbarer und der Situation angemessen Ausdruck zu verleihen und so als Mensch authentisch spürbar zu sein. Und Klienten in der Arbeit den sicheren Rahmen zu bieten, ihre Gefühle zu einem Thema einzubeziehen, zu entladen und sie einordnen zu können.

Hier weiterlesen

Bernhard Mack. 2001. CoreDynamik. Wege zum Kern. Paderborn: Junfermann

Vivian Dittmar, 2014. Gefühle & Emotionen. Eine Gebrauchsanweisung: edition est

Autorinnen dieses Artikels sind Christina Hennig und Dr. Conny Stroh

* Gendern in der Sprache: Im Sinne der guten Lesbarkeit finden sich in den Beiträge mal die männliche, mal die weibliche Form für Klient*innen in wechselnder Kombination mit der männlichen oder der weiblichen Form von Berater*innen. Gemeint sind Menschen aller geschlechtlichen Orientierung.