Das Feld

Schlagworte

Feld, wissendes Feld, morphisches/morphogenetisches Feld

Einsatz in der CoreDynamik

Ausbildungsmodul 2.2: Gruppe, Familie, Team

Definition

Als Feld bezeichnen wir die Ausstrahlung des Einzelnen, die Verbindung von Individuen durch biografisch oder raumzeitlich bedingte Zugehörigkeit zu einer Gruppe, sowie auch die Atmosphäre oder kulturell geprägte Schwingung eines Ortes.

Erläuterung

In der Wissenschaft setzt sich immer mehr die holistische Sicht des Universums durch, d.h. die Erkenntnis, dass alles miteinander verbunden ist. In diesem Zusammenhang wird der Begriff des Feldes in verschiedenen Wissenschaftsbereichen wie der Biologie, der (Quanten-)Physik und der Soziologie diskutiert. Bis heute umstritten ist beispielsweise der Feldbegriff des Biologen Rupert Sheldrake, der davon ausgeht, dass sich die präzisen Abläufe in der Biologie, z.B. das Heranreifen eines Baumes aus einer winzigen Samenzelle, nicht allein durch genetische Steuerung erklären lassen (siehe zu einer ausführlichen Erläuterung den letzten Absatz dieser Seite).

Besonderheiten in der CoreDynamik

Wir gehen von der Existenz des wissenden Feldes aus und beziehen es bewusst ein, wie z.B. bei der Arbeit mit den Archetypen, bei systemischer Familien- oder Gruppenaufstellung, bei Atemreisen oder auch im therapeutischen bzw. Coaching-Prozess. Dieses Einbeziehen geschieht durch das bewusste Erweitern des individuellen Bewusstseins in eine offene Haltung des „Nicht-Wissens“ hinein. Im Anerkennen dessen, dass unser Verstand nur einen sehr begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit erfassen und verarbeiten kann, öffnen wir uns für Wahrnehmungen und Impulse, die wir sonst nicht erfasst hätten, weil sie nicht in unser bewusstes Konzept passen und die wir deshalb übergangen hätten, da sie sich auf Anhieb möglicherweise nicht rational begründen lassen, obwohl sie sich stimmig anfühlen. Diese Impulse beziehen wir in das Prozessgeschehen ein und geben damit die Möglichkeit, sie auf ihre Validität hin zu überprüfen. So kann der Therapeut* z.B. bei einer Aufstellungsarbeit den Aufstellenden fragen: „Und wie ist es, wenn die Mutter einen Schritt nach links geht?“ Der Aufstellende entscheidet, ob er diesem Angebot folgen möchte und prüft, welche Veränderung sich im Empfinden des Systems dadurch ergibt. Der Therapeut kann diese Eingebung aus einem Eindruck der natürlichen Ordnung der Familie ziehen oder sie entsteht rein intuitiv. Da wir in der CoreDynamik davon ausgehen, dass der Klient Experte für seine Realität ist, und ihm die entsprechende Autonomie in der Prozessgestaltung zusprechen, können wir frei unsere Intuition einbringen, ohne uns gedanklich mit dem Zweifel zu blockieren, ob sie „richtig“ ist.

Eine besondere Rolle spielt dabei im Rahmen der CoreDynamik der bewusste Umgang mit Projektionen. Wir trainieren die Wahrnehmung der eigenen Emotionen und Konzepte, um unterscheiden zu lernen, ob wir uns von diesen zu einem Impuls bewegen lassen, oder ob es sich tatsächlich um eine Intuition handelt, die aus dem Prozess entsteht, den wir gerade begleiten. Ein aktiver Schritt ist das „sich leer machen“ vor Beginn einer Aufstellung oder einer vergleichbaren Arbeit, um Konzepte und Gedanken loszulassen und der Intuition Raum zu geben. Ein anderer ist die Beziehungsklärung, die in der coredynamischen Didaktik vor den Familienaufstellungen in der Ausbildung steht und damit einige Verstrickungen klärt und zugleich alle Beteiligten für die persönliche Beziehungsdynamik sensibilisiert.

Bei der Arbeit mit den Archetypen gehen wir davon aus, dass jeder Mensch grundsätzlich in der Lage ist, sich über das Feld des kollektiven Unbewussten mit den Urqualitäten z.B. des archetypischen Kindes, des Mannes, der Königin oder auch des Kriegers zu verbinden und damit diese Qualitäten in sich selbst zu aktivieren. Dies ermöglicht es uns, unser Wahrnehmungs-, Verarbeitungs- und Verhaltensspektrum über den persönlichen Erfahrungsrahmen hinaus zu erweitern.

Ein sehr besonderes Feld entsteht bei den Atemreisen durch die vielfältige Verbindung der im Raum reisenden Menschen, die einerseits ihren Aufmerksamkeitsfokus durch konsequent geschlossene Augen sehr bewusst auf ihr inneres Erleben lenken und die andererseits gemeinsam den Spannungsbogen durchleben, der durch den rituellen und bekannten Ablauf bekannt und durch die Musikauswahl dramaturgisch begleitet und verstärkt wird. Das entstehende Kraftfeld setzt sich zusammen aus dem biografisch und intuitiv geprägten Erleben des Einzelnen, das er über Ausdruck in Bewegung und Stimme in die Gesamtdynamik der Gruppe einbringt, deren Mitglieder sich gegenseitig impulsieren, verstärken und energetisch tragen. Ein weiterer tragender Faktor ist der sichere Raum, oftmals getragen durch Eins-zu -Eins-Begleitung bei Atemreisen, die es den Reisenden ermöglicht, die Kontrolle im Außen abzugeben und sich ganz auf das Erleben und den Ausdruck einzulassen, ja sich dem eigenen und dem Gesamtprozess hinzugeben. Die Reiseberichte erzählen über Generationen von Teilnehmern davon, wie dieses Feld den Zugang zum kollektiven Unbewussten und der Ebene des archetypischen Erlebens öffnet, sowie auch zu dem einen und immer gegenwärtigen Raum des menschlichen Seins und Verbundenseins mit dem Urgrund der Lebendigkeit.

Der Feldbegriff von Rupert Sheldrake

Der Biologe und Autor nimmt Felder an, die „gewissermaßen unsichtbare Pläne oder Blaupausen für die verschiedenen Organe und für den Organismus als Ganzen“ (Sheldrake 2006) enthalten und nennt diese Felder „morphogenetische“ Felder. Übertragen auf Systeme in anderen Bereichen nennt Sheldrake solche Felder „morphische“ Felder (der griechische Wortstamm „morph“ bedeutet Gestalt, Form). Hier unterscheidet er Verhaltensfelder, mentale Felder und soziale Felder.

  • Verhaltensfelder beziehen sich auf das Verhalten und die Instinkte von Tieren. So nimmt er an, dass es z.B. ein kollektives „Rattengedächtnis“ gibt, in dem Erfahrungen von zahllosen Ratten in der Vergangenheit gespeichert sind. Die Ratten können auf die Lernmuster innerhalb dieses „Rattenfeldes“ zurückgreifen.
  • Mit mentalen Feldern versucht Sheldrake Phänomene wie Hellsehen, Angststarre und Vorahnungen zu erklären. Über diese Felder gelange der menschliche Geist aktiv in seine Umwelt und durch Aufmerksamkeit und Intention könnten Verbindungen zu den Mitmenschen hergestellt werden. Hier widersprechen bislang vor allem Neurobiologen, die Geist und Gehirn als eins definieren und alle Gedanken, Gefühle und Bilder im Gehirn verorten. In Sheldrakes Modell dagegen sind das Außen und das Innen wechselseitig verknüpft. Über die Sinne gelangt das Außen in den Geist „und die subjektive Welt des Erlebens wird (…) in die Außenwelt projiziert. (…) Unser Geist durchdringt unseren Körper, und unsere Körperbilder sind dort, wo wir sie erfahren, nämlich in unserem Körper und nicht bloß in unserem Kopf“ (Sheldrake 2006). Der französische Mediziner und Psychiater David Servan-Schreiber ist einer der Autoren, die von Forschungsergebnissen berichten, die dem Herzen eigene, halbautonome Nervensysteme zuschreiben, die z.B. über Hormonausschüttung unmittelbar auf das Gehirn wirken. „Zu guter Letzt“, so Servan-Schreiber, „lässt das Herz den gesamten Organismus an den Veränderungen in seinem ausgedehnten elektromagnetischen Feld teilhaben, das man noch in einigen Metern Entfernung vom Körper nachweisen kann, dessen Bedeutung man aber noch nicht kennt.“ (S. 52)
  • Soziale Felder sind morphische Felder, die sich auf Gruppen beziehen; sie schaffen die Verbindung unter den Mitgliedern einer Gruppe.

Die Verbindung zwischen dem Einzelnen und den morphischen Feldern wird nach Sheldrake durch die morphische Resonanz hergestellt, was bei ihm Gleichschwingung ähnlicher Formen über Zeit und Raum hinweg bedeutet. Je häufiger eine Form aufgetreten ist, desto wahrscheinlicher wird ihre erneute Bildung und desto schneller läuft der Vorgang ab. Über diese Resonanz findet der Informationsaustausch in Form einer wechselseitigen Beeinflussung statt. Das Individuum einer Art kann im Feld auf das kollektive Gedächtnis seiner Art zurückgreifen und trägt gleichzeitig über seine Erfahrungen zu den Inhalten bei, die in diesem Gedächtnis gespeichert sind. Über die morphische Resonanz lassen sich generationenübergreifende Muster in Familien erklären. Sie können durch neue Handlungsweisen ersetzt werden, die wiederum durch morphische Resonanz dem „Familienfeld“ zur Verfügung gestellt werden.

  • Morphische Felder sind hierarchisch organisiert. Das jeweils kleinere ist in ein größeres Ganzes eingebunden. Das Individuum ist in ein Familienfeld eingebunden (unabhängig davon, ob man Kontakt zur Familie hat oder nicht), die Familie ist in das größere Feld der Gemeinde/Stadt eingebunden, die wiederum in das Feld der Nation (mit deren Geschichte wir verbunden sind und die Auswirkungen auf uns hat). Diese in das Menschheitsfeld, welches wiederum Teil alles Lebendigen und Existierenden auf diesem Planeten und im Kosmos ist.
  • Morphische Felder haben eine Struktur, eine Ordnung. So wie das Kristallfeld die Ordnung des Kristallgitters beeinflusst und das Feld eines Vogelschwarms die Flugformation, so beeinflusst das Familienfeld die Struktur der Familie, die durch eine Familienaufstellung sichtbar gemacht werden kann.
  • Morphische Felder verfügen über ein Gedächtnis, in dem Erfahrungen gespeichert sind, die allen am System Beteiligten zur Verfügung stehen. So wird bei Aufstellungen immer wieder deutlich, dass vergangene Erfahrungen in der Familie im Feld gespeichert sind und die Gegenwart beeinflussen. So ist zum Beispiel die diffuse Wirkung von Familiengeheimnissen auf die Familienmitglieder in Aufstellungen kein seltenes Thema. Im Gedächtnis des kollektiven Bewusstseinsfelds der Nation Deutschland sind Fähigkeiten und Ressourcen gespeichert ebenso wie Kriegsgeschehen und Holocaust und beides findet in Aufstellungen seinen Ausdruck. Hier sind Parallelen zu C. G. Jungs kollektivem Unbewussten festzustellen „Das kollektive Unbewusste ist die gewaltige geistige Erbmasse der Menschheitsentwicklung, wiedergeboren in jeder … individuellen Struktur“ (Jacobi, Jolande: Die Psychologie von C.G. Jung; Zürich 1959, S. 49f.).
    Die islamische Psychologin Michaela M. Özelsel stellt anhand der Theorie der morphischen Resonanz eine Möglichkeit zur Beschreibung der Differenz westlicher Psychologien zur Psychologie des Sufitums her:
    „Obwohl Jungs Konzept des ‚Kollektiven Unbewussten‘ über Freuds individuellen Ansatz hinausgeht, ist es doch für den menschlichen Erfahrungsbereich konzipiert. Die Betrachtungsweise des Sufitums (Vahdet al-Vudschud) ist sehr viel umfassender: Sie beinhaltet zwar Jungs Konzept, geht aber über menschliche Erfahrungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinaus. Zu den unbewussten Kräften gehören auch die der animalischen, vegetativen und anorganischen Seinsstufen, zusätzlich zu menschlichen, spirituellen und universalen Zuständen. Dieser Ansatz beschränkt sich also keineswegs auf Phantasien, Träume, Illusionen und frühe Formen gedanklicher Prozesse, sondern umfasst auch die organischen und psychospirituellen Verbindungen zwischen dem Menschen und der Natur – und damit die universale Wirklichkeit (al haqq).“
  • Morphische Felder haben die Grundtendenz, eine gestörte Ordnung wiederherzustellen, es wird versucht, einen Ausgleich zu schaffen. Bezogen auf das Familienfeld bedeutet die Wiederherstellung einer Ordnung Heilung. Durch Aufstellungsarbeit können unsichtbare Bindungen und Verstrickungen aufgedeckt werden. Die Würdigung von Familienmitgliedern und Verantwortungsübernahme am jeweiligen Platz im System (als Mutter, Vater, Kind etc.) ermöglichen Versöhnung und Heilung des Einzelnen und des gesamten Systems.

Hier weiterlesen

Yolande Jacobi, 1959. Die Psychologie von C.G. Jung – Eine Einführung in das Gesamtwerk mit einem Geleitwort von C.G. Jung. Zürich: Fischer Taschenbuch

Peter Klein und Sigrid Limberg-Strohmaier, 2012. Das Aufstellungsbuch. Familienaufstellung, Organisationsaufstellung und neueste Entwicklungen. Wien: Braumüller

Michaela M. Özelsel, 1993. 40 Tage- Erfahrungsbericht einer traditionellen Derwischklausur, München: Verlag Hans-Jürgen Maurer

Hans-Jurgen Maurer und David Servan-Schreiber, 2006. Die neue Medizin der Emotionen – Stress, Angst, Depression: Gesund werden ohne Medikamente. München: Verlagsgruppe Random House GmbH

Autorinnen dieses Artikels: Christina Hennig und Dr. Conny Stroh

* Gendern in der Sprache: Im Sinne der guten Lesbarkeit finden sich in den Beiträge mal die männliche, mal die weibliche Form für Klient*innen in wechselnder Kombination mit der männlichen oder der weiblichen Form von Berater*innen. Gemeint sind Menschen aller geschlechtlichen Orientierung.