Übertragung, Gegenübertragung und partielle Selbstoffenbarung

Schlagworte

Projektion, asymmetrische Beziehung zwischen Therapeutin* / Coach und Klientin, Partielle Selbstoffenbarung

Einsatz in der CoreDynamik

Ausbildungsmodul 3.2: Praxis I – Das Bewusstsein für die asymmetrische Beziehung zwischen Coach / Therapeutin und Klientin wird kontinuierlich begleitend aufgebaut.

Definition

Übertragung meint die Projektion biografischer Emotionen seitens der Klientin auf den Coach / die Therapeutin. Gegenübertragung beschreibt den umgekehrten Vorgang. Von partieller Selbstoffenbarung sprechen wir, wenn die Therapeutin bewusst einzelne Aspekte seiner Menschlichkeit teilt und damit für die Klientin ein echtes greifbares Gegenüber wird anstatt eine reine glatte Projektionsfläche zu sein.

Erläuterung

Projektion geschieht automatisch in jeder Begegnung: Unbewusst schreiben wir dem Gegenüber Eigenschaften zu, die in unserem eigenen Bezugsrahmen mit Emotionen verbunden sind, welche mit dem realen Gegenüber zunächst nichts zu tun haben müssen. Das besondere an der Begegnung zwischen Klientin und Therapeutin ist die Asymmetrie der Beziehung. Der Beziehungsvertrag lautet: Klientin kann normale Schutzmechanismen und Masken fallenlassen und teilt sehr persönliche und vertrauliche Inhalte mit der Therapeutin. Diese ist während der Sitzung mit ihrer vollen Aufmerksamkeit für die Klientin da und setzt sich nach bestem Wissen und Gewissen für ihre Entwicklung und Heilung ein. Ihre persönlichen Themen und Bedürfnisse lässt sie dabei außen vor. Das ist ihre Leistung, die durch das Honorar abgegolten wird. Die Klientin erfährt also sehr wenig von der realen Person der Therapeutin, erlebt diese aber im Vergleich zu anderen Begegnungen als besonders zugewandt und unterstützend gegenüber ihrem Wesen, in all ihrer Verletzlichkeit, ihren Stärken, Schwächen, ihren Träumen und Plänen, ihrem Scheitern und Wachsen. Diese Zuwendung ist bei einer gelingenden Therapeutin-Klientin-Beziehung sehr berührend und führt zu einer besonderen Bindung. Dabei werden biografische Bindungserfahrungen wach, sei es mit den Eltern oder mit dem Partner und es ist fast unvermeidlich, dass unerfüllte Wünsche nach Nähe auf diese zugewandte Person der Therapeutin projiziert werden. Dieses Phänomen ist Therapeutinnen wohl bekannt, es kommt nicht selten vor, dass Klienten ihre Therapeutinnen auf ein Podest stellen, amouröse Verehrung für sie entwickeln oder ähnliche Konflikte empfinden, wie mit ihren Eltern. Das Gute ist, dass die Therapeutin sich hier als zurückreflektierende Projektionsfläche anbieten kann, indem sie die deutlich werdende Übertragungsdynamik thematisiert und die Gefühle, mit der sie darauf reagiert für den therapeutischen Prozess zur Verfügung stellt (vgl. Kriz S. 36). So können biografische Defizite oder Konflikte aufgearbeitet oder partnerschaftliche Sehnsüchte und Verhaltensweisen bewusst gemacht werden.
Die Empfindungen und Reaktionen der Therapeutin, die in der Arbeit mit der Klientin aufsteigen, nennen wir Gegenübertragung. Dies geschieht natürlich auch unbewusst und dient nicht immer dem Prozess für die Klientin. So können die eigenen biografischen Muster und Emotionen der Therapeutin aktiviert werden, wenn eine Klientin Erinnerungen an die Mutter hervorruft oder an die schwierige Kollegin, die man nicht leiden kann oder wenn ein Gefühl von erotischer Attraktion entsteht. Dafür ist es so grundlegend wichtig, dass die Therapeutin über genügend Selbsterfahrung verfügt und ein ausgebildetes Bewusstsein für ihre eigene Geschichte und ihre Empfindungen hat. Gegenübertragungen sind ein klassisches Thema für die Supervision. Hier bekommt die Therapeutin den Raum, sich ihrer Zuschreibungen und Emotionen bewusst zu werden und sie zu bearbeiten, um sich selbst zu klären und die Therapeutin-Klientin-Beziehung davon möglichst zu entlasten.

Für das Coaching gilt das gleiche Prinzip.

Therapieformen unterscheiden sich im Grad der Selbstoffenbarung der Therapeutin. Ein Extrempol wäre die klassische Psychoanalyse. Hier sitzt die Therapeutin klassischerweise außerhalb des Blickfelds der Klientin und überlässt damit sogar ihre Körperhaltung und Mimik ihrer Fantasie. Modernere Therapieformen befürworten ein deutlich menschlicheres Verhalten der Therapeutin als greifbares Gegenüber. So können auch Übertragung und Gegenübertragung thematisiert werden, um Beziehungsmuster der Klientin zu erforschen. Die Therapeutin stellt sich hier als Beziehungspartnerin zur Verfügung. Wichtig ist, dass dabei die Therapeutin-Klientin-Beziehung gewahrt wird.

Besonderheiten in der CoreDynamik

Wir gehen davon aus, dass Übertragung und Gegenübertragung in jedem begleitenden Kontakt wirksam sind. Die Asymmetrie in der Beziehung zwischen Begleitern und Klient ist daher ein wichtiges Thema, wie zum Beispiel auch bei dem Bewusstsein für die verschiedenen Berührungsqualitäten. CoreDynamik-Therapeuten lernen darauf zu achten, ob ihre Berührung im Körperkontakt mit Klienten fürsorglich, konfrontativ oder diagnostisch ist (erlaubt), oder ob sie nehmender oder erotischer Natur ist (no go). Das gleiche Prinzip gilt für die Ebene der Selbstoffenbarung bei der Begleitung von Klienten über einen längeren Zeitraum. Zu Beginn der Zusammenarbeit stellt sich der Begleiter sehr bewusst als Projektionsfläche zur Verfügung und gibt recht wenig von sich als Person preis, um dem Klienten die Gelegenheit zu geben, die Zusammenarbeit vor allem durch seine Wahrnehmungen, Interpretationen und auch Übertragungen zu prägen. Bei zunehmender Stabilität und bei wachsendem Verständnis des Klienten für seine Reaktionen und Strategien, zeigt sich der CoreDynamik-Therapeut zunehmend menschlich, auch mit eigenen Mustern und Schwächen. Wir sprechen hier von dosierter partieller Selbstoffenbarung. Dosiert, weil die Interaktion nach wie vor von den Themen des Klienten geprägt bleibt und der Fokus nicht zu stark auf den Therapeuten schwenken sollte. Partiell, weil die Asymmetrie des Verhältnisses bestehen bleibt, solange die Zusammenarbeit läuft. Der Klient soll nicht in die Situation gebracht werden, dass er sich um den Therapeuten sorgen muss oder sich von zu viel Information überfordert fühlt. Die Intention ist es hingegen, die Übertragungen des Klienten schrittweise abzubauen und als Therapeutin von dem scheinbaren Podest der Person, die alles weiß und immer souverän ist, herunter zu steigen, um die Zusammenarbeit menschlich auf Augenhöhe zu beenden.

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Jürgen Kriz, 2007. Grundkonzepte der Psychotherapie. Weinheim: Verlagsgruppe Beltz

Autorin dieses Artikels: Christina Hennig

* Gendern in der Sprache: Im Sinne der guten Lesbarkeit finden sich in den Beiträge mal die männliche, mal die weibliche Form für Klient*innen in wechselnder Kombination mit der männlichen oder der weiblichen Form von Berater*innen. Gemeint sind Menschen aller geschlechtlichen Orientierung.