Die Aktivitätslevel

Schlagworte

Autonomes Nervensystem, Sympathikus, Vagus, Aktivierung, Erregung, Ruhe, Kontakt, Aktivität, Kampf, Flucht, Erstarren

Einsatz in der CoreDynamik

Ausbildungsmodul 1.3: (Selbst-)diagnose des eigenen Aktivitätslevels, Berücksichtigung in der Wahrnehmung und Gestaltung des Kontaktes mit sich, mit der Welt und mit anderen.

Definition

Die Aktivitätslevel bestimmen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen und aus welchem Modus heraus wir darauf reagieren. Sie beschreiben verschiedene Zustände unseres Autonomen Nervensystems, welches u.a. unsere Sinnesorgane, Muskelspannung, Atmung und Herzschlag steuert.

Erläuterung

Wenn wir ein heilsames Beratungsgespräch mit jemandem führen wollen, brauchen wir ein anderes Aktivitätslevel, als wenn wir kurz vor der Abgabe eines Projektes unter Hochdruck die letzten Handgriffe erledigen wollen oder wenn wir ein paar Stunden haben, um uns zurückzuziehen und uns zu regenerieren. Unser Autonomes Nervensystem passt sich unwillkürlich an die situativen Anforderungen an. Dabei gibt es ein natürliches Pulsieren zwischen Aktivität und Regeneration.

Unter langanhaltender Belastung jedoch, büßt das Autonome Nervensystem seine Regulationsfähigkeit ein. Wenn wir über einen langen Zeitraum unter einem zu hohem Druck arbeiten, fällt uns mit der Zeit schwer zur Ruhe zu kommen, um zu regenerieren. Wir spüren, dass unsere Kraftreserven beansprucht sind, finden aber dennoch nicht ohne weiteres Erholung. Es fällt uns dann auch nicht so leicht, uns auf echten Kontakt einzulassen. Mancher fährt sich dann mit Fernsehen herunter, während eine andere zu Alkohol oder anderen Genuss- oder Suchtmitteln greift.
Echter Kontakt ist auch schwierig, wenn wir erfolgreich unter Volllast stehen und dynamisch alle Bälle in der Luft halten. Das kann ein richtiges Hochgefühl sein, doch wenn wir zu lange zu hochtourig agieren, kann es sich anfühlen, als würden wir den Bodenkontakt verlieren und es schleicht sich eine diffuse Angst vor Kontrollverlust ein. Ebenso in einer akuten Krise oder nach einem traumatischen Schockerlebnis. Es kann sein, dass wir das Gefühl haben neben uns zu stehen.

Menschen suchen einen Coach oder eine Therapeutin in der Regel dann auf, wenn sie Unterstützung brauchen. In vielen Fällen ist dann auch die Regulierungsfähigkeit des Autonomen Nervensystems beeinträchtigt. Manchmal akut, manchmal auch schon sehr, sehr lange, weil die Disregulierung schon in der Kindheit entstanden ist, und unsere Klienten seitdem damit gelebt haben. Oftmals haben sie sich mit einer inneren Unruhe oder Taubheit arrangiert und damit leben gelernt. Eine akute Zusatzbelastung kann dann die ohnehin fragile Stabilität auf sehr bedrohliche Art in’s Wanken bringen.

Die Kenntnis der Aktivitätslevel hilft uns dabei, den Zustand unseres Gegenübers einzuschätzen und gibt uns Sicherheit darin, uns selbst darauf einzustimmen. Zudem können wir zielgerichtet daran arbeiten, eine Regulierung wieder herzustellen. Als Therapeuten und Coacherinnen erleben wir natürlich auch selbst das natürliche Pulsieren unseres Organismus durch die verschiedenen Zustände und wir gewinnen eine wichtige Souveränität in unserer Selbstfürsorge, wenn wir unsere eigene Verfassung lesen und wohltuend darauf einwirken können.

Die sechs Aktivitätslevel

Fangen wir ganz unten an, denn dort beginnen wir auch einen Tag, wenn wir gut geschlafen haben. In dem Übergang vom Schlafen zum Wachsein hin, befinden wir uns noch im Regenerationsmodus: Unser Herzschlag ist ruhig, die Atmung entspannt und tief, Muskeln gelöst, die Glieder sind schwer – es ist garnicht so leicht, aus dem Bett zu kommen. Unsere Sinne sind noch nicht auf Aufnahme eingestellt. Im Schlaf haben wir verdaut, sowohl körperlich, als auch die Erlebnisse des Vortages. In der Begleitung kann der Regenerationsmodus eintreten, wenn wir unseren Klienten in eine Entspannung geführt haben und ein echtes Loslassen geschehen konnte – vielleicht sogar mit einem leisen Schnarchen.

Haben wir die Möglichkeit, in unserem eigenen Rhythmus in den Tag zu gehen, geschieht dies bei vielen Menschen in einem Modus der Ruhigen Aktivität. Puls und Atmung gehen noch ruhig, die Bewegungen sind weich und mit wenig Muskelspannung ausgeführt. In Ruhe folgen wir unseren Impulsen, wir spüren unsere Bedürfnisse, sind vielleicht noch nicht sehr gesprächig. Vielleicht ist es eher ein stilles Betrachten des Morgenhimmels oder ein Genießen des Morgentees. Ruhige Aktivität kann auch im Tagesverlauf eintreten, wenn wir für uns sind und ergebnisoffen im Tun und Sein versinken können. In der Beratung kann es zu einer ruhigen Aktivität kommen, wenn wir einem Klienten ein Tun anbieten und ihm Zeit dafür geben: Die Gestaltung eines Bildes zu einem Musikstück zum Beispiel.

Meistens sind wir in der Beratungsarbeit jedoch im Aktiven Kontakt mit unseren Klienten. Puls und Atmung können sich hier lebendig verändern, also beschleunigen, wenn Inhalte mit emotionaler Ladung zum Thema werden, und sich auch wieder beruhigen, wenn ein z.B. Einordnen stattgefunden hat und wir einen heilsamen Moment der Ruhe ausdehnen. Auch in der Interaktion mit Familienmitgliedern oder Kolleginnen sind wir im aktiven Kontakt, solange wir uns sicher fühlen und weder zeitlich noch auf ein Ziel hin unter Druck stehen. Unsere Sinne sind hier sehr offen, wir nehmen viel wahr und reagieren fließend darauf, lassen uns wirklich ein und gehen im Kontakt Erregungswellen mit. Hier wird das Prinzip der Co-Regulierung sehr deutlich: ein energetischer Zustand ist ansteckend! Im Pacing und Leading verstärken wir dies ganz bewusst, indem wir unseren Klienten in dem Erregungslevel abholen, in dem er ist, und ihm darin auch eine Weile folgen (Pacing), um dann an geeigneter Stelle auch mal einen Wechsel im Energielevel einladen. Aufstehen, unsere Muskeln mobilisieren und aktiv werden zum Beispiel, oder eine Emotion verstärken, um eine Erfahrung zu vertiefen und deutlicher zu machen, oder um eine Entladung von Energie zu ermöglichen. Oder auch durchatmen und sacken lassen, um ruhiger zu werden und Erfahrungen wirklich verdauen zu können.
In Momenten der Unsicherheit und Aufgewühltheit macht es die Co-Regulierung oft erst möglich, ein Gefühl wirklich zuzulassen, weil die sichere Präsenz des Therapeuten oder der Coacherin wie ein Anker wirkt, die eine Überaktivierung vermeidet.

Eine begrenzte Zeit oder der Fokus auf ein Ziel lösen das nächste Level aus, die Dynamische Aktivität. Puls und Herzschlag erhöhen sich und unsere Muskeln spannen sich an, um Leistung zu bringen. Solange wir uns darin sicher fühlen, kann dies ein sehr freudvoller Zustand sein, in dem wir unsere Kraft spüren und uns wirksam wahrnehmen. Für ein Team ist es eine sehr erhebende Erfahrung, gemeinsam eine Welle der Kraftanstrengung hervorzubringen, Grenzen zu überwinden und zusammen etwas zu schaffen. Unsere Sinne sind dann sehr fokussiert auf ein Ziel und wir neigen dazu, alles andere auszublenden. Perfekt für eine hohe Produktivität. In der Beratung kommen wir in diesen Modus, wenn wir mit Schwung ein Thema erarbeiten, vielleicht durch ein intensives Brainstorming oder durch eine dynamische Bewegung.

Dieses Aktivitätslevel kostet sehr viel Energie und ist darauf ausgelegt, dass sich an einen Erregungsbogen eine Regenerationsphase anschließt. Bleibt diese aus, rutschen wir nach einiger Zeit in das nächst höhere Level.

Überaktivierung tritt ein, wenn wir uns zu intensiv oder zu lange überfordert und dadurch bedroht fühlen. Der Organismus gerät in einen Kampf- und Fluchtmodus: Schneller Herzschlag, schnelles aber flaches Atmen und eine hohe Mobilisierung unserer Muskeln. Unsere Sinne sind vollständig darauf ausgerichtet, die Bedrohung auszumachen und für normale Kontakte sind wir kaum erreichbar. Auch in der Beratung kann ein Klient in diesen Zustand geraten, wenn emotionale Inhalte sich öffnen und überwältigend intensiv wirken. Hier ist eine sichere, führende und zuversichtliche Begleitung notwendig, um der Überwältigung einen sicheren Rahmen zu schenken. Dann wird diese emotionale Welle zu einer heilsamen Entladung, die in einen integrativen Zustand von Regulierung auslaufen kann.

Ohne Begleitung ist ein solch hochenergetischer Krisenmodus für den Organismus nicht lange zu halten. Wenn wir uns darin hilflos fühlen, wenn wir keine Aussicht sehen gestaltend eingreifen zu können oder die Situation zu verlassen, übernimmt das nächste Aktivitätslevel, um uns vor einem Zusammenbruch zu schützen.

Für die Momente, in denen sowohl Kampf, als auch Flucht keine Option sind, hat die Natur uns das Einfrieren geschenkt, das wir in der Tierwelt beobachten können (Kaninchen vor der Schlange). Hier werden Herzschlag und Atmung massiv verflacht, damit wir trotz der hohen und bleibenden Anspannung still ausharren können. Der Selbstverteidigungsimpuls bleibt bestehen, wird jedoch unterdrückt und gegebenenfalls sogar abgespalten, sodass wir ihn garnicht mehr spüre können. Wir fühlen uns dann wie betäubt, im Nebel oder so als würden wir neben uns stehen. Diesen Zustand können wir sehr lange aushalten. Es steht uns jedoch der Teil unserer Lebendigkeit, der in der unterdrückten Mobilisierung gebunden ist, nicht zur Verfügung.

Nicht wenige Menschen geraten regelmäßig und über längere Zeiten bedingt durch berufliche und familiäre Beanspruchung in diesen Funktionsmodus. Wir tun, was von uns erwartet wird, sind aber nicht wirklich erreichbar oder reagieren sogar abwehrend und gereizt auf Menschen, die wir lieben.

Der Weg heraus braucht Erholungszeit und eine Entladung der gehaltenen Energie.

Auch in der Beratung erleben wir diesen Zustand bei Klientinnen und Klienten, die aus einer anhalten Überforderung keinen Ausweg sehen. Oder ein Klient rutscht in einen nebelartigen Zustand, wenn in der Arbeit eine abgespaltene traumatische Erfahrung berührt wird (CoreDynamik-Ausbildung 3. Jahr). In beiden Fällen ist es unser Anliegen, den sicheren Raum zu halten und über ein Ansprechen der Sinne wieder mehr Mobilität und Präsenz einzuladen. Wir stellen auch dabei durch unsere warmherzige und ergebnisoffene Präsenz unseren Organismus co-regulierend zur Verfügung.

Diagnostik

Wie erkenne ich die Aktivitätslevel bei mir und bei anderen?

  Augen, Fokus, Mimik, Bewegungsfluss Sprache, Gedanken, Gefühle Interaktion
Funktionsmodus Starr, unbeteiligt, abwesend, eingefroren, automatenhaft, ungeschmeidig Mechanisch, flache Intonation, unkreativ, zynisch, innerlich taub, abgeschaltet, Tendenz zur Opferhaltung Ausgestiegen, mechanische Aufgabenerfüllung oder Dienst nach Vorschrift, nicht erreichbar, nicht berührbar, resigniert
Krisenmodus/ Über-aktivierung Geweitete Augen, verengter Fokus: Tunnelblick, verzerrte Wahrnehmung, hektisch, fahrig Hektisch, emotional, Gedankenkreisen, unlogisch, konfus, gereizt, aggressiv, defensiv Schwer erreichbar, reizbar, Überreaktion

-> es geht um Leben und Tod und es soll aufhören

Dynamische Aktivität Verengt, scharfer Fokus, Kiefer angespannt, Bewegung ist effizient und sportlich Präzise, knapp, schnell, laut, hochproduktive Gedanken, Hochgefühl Erreichbar nur im produktiven Ping-Pong, bitte kein Tüdelüt

-> nicht gestört werden

Aktiver Kontakt Entspannt, beweglich, ausdrucksstark, lebendig mitgehend, spielerisch Zugewandt, Flexibel mitgehend, bilderreich, differenziert, inspiriert, berührbar, lebendig Zugänglich, co-kreativ, ergebnisoffen, experimentierfreudig

-> Begegnung

Ruhige Aktivität Gelöst, weiter Fokos, präsent und mäandernd, geschmeidig, nach innen gekehrt, Ruhig, , wenig Worte, kreativ verdauend und schöpferisch Ruhig, selbstzufrieden, Raum gebend

-> (Zusammen-)Sein

Regeneration Geschlossen, Traumbewegungen,
tiefe ruhige Atmung
Verdauend, träumend Meist keine

Hintergründe

Die Aktivitätslevel haben wir in dieser Darstellungsweise bei CoreDynamik aus der Polyvagaltheorie nach Stephen Porges entwickelt. Sie beschreiben die verschiedenen Modi unserer körperlichen Verfassung und auf dieser Basis auch unsere Wahrnehmung, unser Denken und Fühlen, unsere Ausdrucksmodi und die Art, wie wir jeweils in Kontakt stehen können. Ausgangspunkt ist unser Autonomes Nervensystem (ANS) mit seinen Zweigen, dem Sympathikus (SNS: Sympathisches Nervensystem) und dem Vagus (Parasympathikus).

Während diese beiden Zweige in der herkömmlichen Schulmeinung als Antagonisten dargestellt wurden, haben Porges Forschungserkenntnisse diese Sichtweise differenziert. So wissen wir heute, dass es zwei Stränge des Vagusnervs gibt, die zu unterscheiden sind: den entwicklungsgeschlichtlich älteren dorsalen Vagus (DV, wir nennen seine Wirkweise bei CD „Ruhesystem“) und den „moderneren“ ventralen Vagus (VV, Benennung bei CD: „Kontaktsystem“). Das Ruhesystem (DV) steuert vor allem die Bauchorgane unterhalb des Zwerchfells an und reguliert dort Verdauung und Regeneration. Das Kontaktsytem (VV) hingegen ist für den Bereich oberhalb des Zwerchfells zuständig, so auch unsere Gesichtsnerven und alle Sinnesorgane im Kopfbereich. Beide Vaguszweige wirken beruhigend auf Herzschlag und Atmung ein.

Das Aktivieren hingegen übernimmt der Sympathikus, der unsere Muskeln mobilisiert, wenn wir auf etwas zugehen wollen, wenn wir nach etwas greifen, oder wenn wir uns schützen wollen.

Die drei Nervenstränge wirken ohne unser aktives Zutun auf unsere Verfassung ein und machen es möglich, dass wir z.B. in einer Situation ruhig sitzen und uns auf ein Gespräch einlassen und in einer anderen Situation sehr schnell laufen können, während wir rechts und links alles ausblenden. Damit gehen jeweils sehr unterschiedliche Anforderungen an unsere Blutzirkulation, unsere Muskelspannung und unsere Sinnesorgane einher.

Der DV immobilisiert uns, bringt uns in einen Ruhezustand, in dem die Energie für Stoffwechsel und Zellregeneration zur Verfügung steht. Auch unser Verstand verarbeitet in dieser Zeit alle Eindrücke, erholt sich und schafft Verknüpfungen. Unsere Sinne sind heruntergefahren, wir sind nach innen gekehrt und ruhen oder schlafen. Dieser Zustand ist notwendig zur Gewinnung neuer Energie aus aufgenommener Nahrung und Eindrücken, zum Ausscheiden unbrauchbaren Materials, zur Regeneration.

Der Sympathikus mobilisiert uns, bringt uns in Bewegung auf etwas zu oder von etwas weg. Er ermöglicht uns im primitiven Sinne Nahrung zu beschaffen und uns so neue Energie zuzuführen. Unsere Sinne sind geschärft und fokussiert auf das, was wir brauchen oder was bedrohlich sein könnte. Wenn eine Verunsicherung geschieht, ist die erste Reaktion eine Mobilisierung für den Kampf. Ist dieser aussichtslos, wird die Energie in Flucht investiert. Ist auch dieser aussichtslos und können wir die als bedrohlich empfundene Situation nicht beenden, tritt der Dorsale Vagus als Lebensretter ein und verhindert, dass wir unsere kostbare Energie vergeuden, in dem er uns immobilisiert. Wir nennen das Erstarren oder Totstellen. Menschen wirken dann äußerlich ruhig, wenn auch etwas benebelt, denn innerlich ist aber der Sympathikus zwar unterdrückt, aber nach wie vor unter Spannung, solange wir uns nicht sicher fühlen und die mobilisierte Energie entladen können.

Der VV stellt Kontakt her und sichert unsere Bindungen, sowie unsere Zugehörigkeit zu einer Gruppe, welche entwicklungsgeschichtlich ebenfalls das Überleben sichert. So ist unsere erste Reaktion unter Verunsicherung, dass wir kommunizieren, versuchen eine Verhandlungslösung zu finden. Ist unsere subjektive Wahrnehmung aber, dass dies aussichtslos ist, übernehmen die anderen Systeme, also erst der Sympathikus, und in letzter Konsequenz der Parasympathikus. Allerdings sind wir über unser Kontaktsystem auch empfänglich für Signale von Sicherheit und Bindung, welche die Mobilisierung unseres ANS wieder beruhigen können. Wir sprechen hier von Co-Regulation, weil die Präsenz von jemand anderem dazu beiträgt, dass sich unser eigenes Nervensystem ausgleicht.

Die Natur des Menschen ist es nicht, in einem bevorzugten Modus gleichbleibend zu verweilen. Ein gesundes Nervensystem ist für alle diese Zustände ausgelegt und kann die Aktivitätslevel in Bögen durchlaufen. Wir sprechen von Resilienz, wenn ein Organismus auf Belastungssituationen angemessen reagieren und sich dann auch wieder regulieren kann, wenn der Raum für Regeneration gegeben ist.

Relevanz für die Arbeit mit Menschen

In der Beratungsarbeit ist es sehr hilfreich, erkennen zu können, in welchem Modus uns ein Mensch gegenüber tritt. Wir können an Körperhaltung, Gesichtsausdruck und Ansprechbarkeit erkennen, ob sich jemand sicher fühlt oder sich in einem akuten oder subtilen Alarmzustand befindet. Dementsprechend können wir die Situation gestalten und dazu beitragen, dass ein sicherer Raum entsteht, in dem der VV einen Kontakt ermöglicht, die Präsenz zunimmt und Energie für das gemeinsame Erkunden eines Themas frei wird.

Neurozeption: Die subjektive Wahrnehmung von Sicherheit

Steven Porges prägte den Begriff der Neurozeption für den fortlaufenden Prozess der Einschätzung einer Situation als sicher oder unsicher – ein Prozess, der sich unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle vollzieht. Dabei werden ununterbrochen Reize aus unserer Umgebung und auch aus unserem Körperinneren verarbeitet. Ein lautes Geräusch lässt uns ebenso aufmerken, wie ein plötzliches Bauchgrimmen.

Neurobiologische Forschung hat gezeigt, dass nur 20% der Signale, die unser Dorsaler Vagus transportiert, aus unserem Gehirn zu den Bauchorganen gehen. 80% der Kommunikation geht den umgekehrten Weg, sind also Zustandsanzeigen aus unseren inneren Organen zu unserem Gehirn. Porges hat für diese Erkenntnis den Begriff „Neurozeption“ geprägt: Die Verarbeitung von Reizen aus der Umgebung und aus dem Inneren unterhalb der Wahrnehmungsschwelle.
Das ist eine sehr wichtige Information für Menschen, die sich auf unerklärliche Weise häufig in einem Alarmzustand befinden, obwohl die Situation im Außen vermeintlich sicher ist. Denn Spannungen, die in unseren Organen sitzen, rühren oftmals von alten, unverarbeiteten Schreckmomenten oder auch ganzen Lebensphasen her, in denen unsere Bedürfnisse nach Sicherheit und Bindung unterversorgt waren. Selbsterfahrung und Therapie helfen, diesen inneren Spannungen im Hier und Jetzt einen sicheren Raum zu geben, in dem sie sich achtsam entladen können. Zugleich vertieft sich die Selbswahrnehmung und es wächst die Fähigkeit zur Selbstregulierung. Signale des Körpers können bewusst gespürt werden und Menschen lernen Wege, sich selbst zu beruhigen und bewusst zu machen, dass sie heute sicher sind. Schicht um Schicht kann Erstarrtes schmelzen, und Angespanntes löst sich. Energie fließt freier und es entsteht Raum für lebendige Pulsation zwischen Anspannung und Entspannung.

Hier weiterlesen

Autorin dieses Artikels: Christina Hennig