Das Vierfaktorenmodell der dynamischen Balance (TZI)

Schlagworte

Ich, Wir, Es, Kontext, Gruppe, Führung, Dynamische Balance, Themenzentrierte Interaktion, Ruth Cohn

Einsatz in der CoreDynamik

Ausbildungsmodul 2.2: Gruppe, Teams, Familie, Führung

Definition

Die vier Faktoren ICH, WIR, ES und KONTEXT entspringen dem zentralen Modell der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn. Davon ausgehend, dass diese vier Faktoren gleichermaßen grundlegend zu dem Gelingen einer Gruppeninteraktion beitragen, finden wir darin eine hilfreiche Landkarte für die Planung, Begleitung und Reflexion einer Zusammenarbeit.

Erläuterung

Ruth Cohn war eine der prägenden Persönlichkeiten in der Entwicklung und Ausgestaltung der humanistischen Psychologie im 20. Jahrhundert. Mit dem Anliegen zu einer humanen Gesellschaft beizutragen kristallisierte sich nach Jahren der praktischen Arbeit in den Bereichen Pädagogik, Psychotherapie und Psychotherapie die Grundlage der Themenzentrierten Interaktion heraus.

Dabei befand Frau Cohn vier Faktoren als maßgeblich für das erfüllende und effektive Funktionieren einer Gruppe:

  • die Person, die sich selbst, den anderen und einer Aufgabe zugewendet ist (= ICH)
  • die Gruppenmitglieder, die durch die Zuwendung zu einem gemeinsamen Thema und ihre Interaktion zur Gruppe werden (= WIR)
  • die Sachebene, die Aufgabe, der sich die Gruppe zuwendet (= ES)
  • das Umfeld, in dem sich die Gruppe befindet, das die Gruppe beeinflusst und von ihr beeinflusst wird – also die Umgebung im weitesten Sinne (= KONTEXT, bei Ruth Cohn „Globe“ genannt)

Alle Punkte sind gleich wichtig, wenngleich nicht immer alle gleich stark im Fokus stehen. Sie bewegen sich in einer dynamischen Balance zueinander, die sich gleichgewichtig anfühlt, wenn alle Faktoren zur rechten Zeit auf eine Weise Aufmerksamkeit bekommen, wie es dort gebraucht wird. Das bedeutet im Einzelnen:

ICH: Die Interessen des Einzelnen müssen im Rahmen der Gruppe in genügendem Maße Entsprechung finden. Zugleich geht es bei der Gruppenarbeit auch immer darum, individuelle Bedürfnisse für eine Zeit zurückstellen zu können zum Wohle des Ganzen. Damit Menschen jedoch eine Gruppe für sich wählen und auf Dauer dabeibleiben und sich zugehörig fühlen, braucht es eine Passung ihrer persönlichen Werte mit dem Handeln im Rahmen des Wir und des Kontextes, wie auch in Bezug auf das Es. Das Maß in dem sich ein Individuum mit den eigenen Bedürfnissen am rechten Platz fühlt ist Ausschlag gebend für die Bereitschaft sich zu öffnen, sich einzubringen und der Gruppe zu dienen.

WIR: Die Summe der Ich’s bildet das Wir. Es kann in dem Wir organisationale Rollen geben, die mit definierten Funktionen und Berechtigungen einher gehen (z.B. Leitungsrolle, zeitweise Protagonistin*, Protokollant …). Zugleich entwickeln sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Persönlichkeiten zueinander auch informelle Rollen und Beiträge heraus (kümmern, provozieren, organisieren …). Eine Kultur des Umgangs miteinander entsteht. Angefangen bei der Pünktlichkeit über das Zuhören und Ausredenlassen bis hin zu einer grundlegenden Bereitschaft zu Wohlwollen und zum Ansprechen von Konflikten tragen zur Kultur bei. Menschen finden ihre Plätze in Gruppen weiter im Zentrum oder weiter außen, eher oben oder eher unten und sind mit den Plätzen mehr oder weniger glücklich.

Je klarer die Kultur von allen Beteiligten mitgetragen wird und je stimmiger die Einzelnen ihre Plätze in der Gruppe einnehmen und gestalten können, um so mehr Energie steht für die Hinwendung zum Thema und den produktiven Austausch untereinander zur Verfügung. Energie, die sonst in impliziten oder offenen Reibungen gebunden sein kann.

ES: Häufig ist es das Thema, ein Aufgabensetting oder ein Anliegen, das Menschen zusammenbringt und eine Gruppe formt. Eine Ausbildung, eine Projektgruppe, eine Feier. Einigkeit über das Thema und Klarheit über das Vorgehen bestimmen, wie produktiv die Einzelnen zusammenwirken können. Uneinigkeit und Unklarheit führen dazu, dass die ICHs überprüfen, ob ihre Interessen Berücksichtigung finden und dass diese im WIR verhandelt werden müssen.

KONTEXT: Die unmittelbare Umgebung, wie auch das weitere Umfeld wirken stets unterstützend oder hemmend. Raum, Licht, Luft, Geräuschkulisse, Ästhetik, Freundlichkeit und Laune der Menschen um die Gruppe herum wirken direkt auf unser autonomes Nervensystem und bestimmen damit unseren Anspannungsgrad und unsere Kontaktbereitschaft. Aber auch eine politische Lage mit ihren Auswirkungen auf die Beteiligten, oder eine gesellschaftliche Stimmung gehören zu wirksamen Faktoren, die ein Gewicht haben.

TZI Modell aufgemalt: Ein Dreieck mit ES oben, WIR unten rechts und ICH unten links und einem Kreis als KONTEXT drumrum.

Alle vier Faktoren können wir in der Betrachtung und in der Führung einer Gruppe berücksichtigen.

Bei der Planung eines Gruppengeschehens, gilt es schon in der Einladung den Anlass klar benennen und alle wesentlichen Informationen zur Verfügung stellen (ES). Den richtigen Ort finden und gut vorbereiten (KONTEXT) zahlt sich aus. Es ist hilfreich die Interessen der einzelnen Menschen zu antizipieren oder abzufragen und in der Planung zu berücksichtigen (ICH). Durch die Haltung der Leitung oder auch durch klares Benennen entsteht ein fruchtbarer Boden für Freiheit und Sicherheit im Umgang miteinander (WIR).

In der Durchführung und Begleitung des Geschehens gilt es, alle vier Faktoren zu berücksichtigen und in der Aufmerksamkeit zwischen ihnen zu pendeln. Dabei hilft ein klares und stringentes anmoderieren des ES, worin genügend Raum für die einzelnen ICHs entsteht, sich das Thema zu erschließen und ein Bewusstsein zu erlangen für das ganz persönliche Anliegen darin. Wesentlich ist eine Struktur für das WIR, in denen die einzelnen ICHs um ihre Rollen wissen und immer wieder sichtbar und hörbar werden. So haben sie Gelegenheit sich gegenseitig zu inspirieren und zu unterstützen.

Hierbei ist ein Postulat Ruth Cohens grundlegend geworden für Gruppenarbeiten in humanistischen Kontexten: „Störungen haben Vorrang“. Das Wort „Störung“ verstehen wir dabei als einen Hinweis auf etwas, das wir nicht vorhergesehen haben und das aber jetzt Aufmerksamkeit braucht. Es kann sich um ein Hinterfragen des Themas handeln oder um eine aufkeimende Diskussion des Umgangs miteinander. Auch das unvorhergesehene emotionale Aufbrechen eines einzelnen Beteiligten kann in das Gruppengeschehen hineinfließen und für alle spürbar werden. Begrüßen wir diese „Störung“ und schenken ihr die notwendige Aufmerksamkeit, kann sie den Gruppenprozess wesentlich bereichern. Versuchen wir sie zu übergehen, wird sie dem Prozess die Energie entziehen und damit eine Abkehr von Einzelnen oder einen unterschwelligen Konflikt nähren der sich dann zu einem ungebetenen Gast erwächst.

Die Reflexion einer Gruppenarbeit geschieht zwischen einzelnen Abschnitten oder auch im Nachhinein und es lohnt sich, die vier Faktoren bewusst zu betrachten. Wenn es sich an Stellen schwierig angefühlt hat – wo lag die Ursache? Fühlten sich einzelne ICHs übergangen? Gab es welche, die keinen Produktiven Platz im WIR finden konnten, der ihren Gaben und ihrer Bereitschaft entsprochen hätte? Sind wir unklar gewesen im Vermitteln des ES und haben die Gruppe dadurch in eine Verhandlung über den Inhalt gebracht anstatt die Basis für eine Forschungsarbeit zu legen? Gab es im Kontext Schwierigkeiten, die wir übergangen haben, anstatt einen einverständigen Umgang damit zu ermöglichen?

Besonderheiten in Der CoreDynamik

Das Zusammenwirken von ICH, WIR und ES ist in der Ausbildung besonders stark ausgeprägt, da wir schwerpunktmäßig über Selbsterfahrung (ICH) vermitteln, welche Perspektiven auf die menschliche Persönlichkeitsentwicklung (ES) wir erfahrungsgemäß für wertvoll halten. Die dreijährige Ausbildung schafft ein starkes WIR, das wir als „Heilfaktor Gruppe“ bezeichnen, da diese Beziehungen sowohl den Halt, als auch die Reibungsfläche bieten, an der sich Einzelne intensiv spüren, verstehen lernen und reflektieren können. Nach dreißig Jahren, 18 Durchgängen und kontinuierlicher Aktualisierung ist die Ausbildung in der Struktur so klar und im Inhalt so gehaltvoll, dass die Teilnehmenden sich mit großem Vertrauen auf das ES einlassen können, es gemeinsam erleben, und es so durch ihre eigenen Erfahrungsberichte, in eigenen Worten erzählt in den verschiedenen Facetten füreinander lebendig spürbar machen. Durch ein konsequentes pulsieren zwischen ICH und WIR in den verschiedenen Sozialformen (Einzel-, Partner-, Kleingruppen-, Gesamtgruppenarbeit) ist für ein organisches Verweben und Verarbeiten der Einzelerfahrungen gesorgt. Nicht zuletzt sorgt auch der Kontext in Bredbeck mit dieser wunderschönen Natur, dem gute Essen und den langen Pausen dafür, dass Leben, Lernen und Entwicklung für die Einzelnen in der Gruppe gesund eingebettet sind.

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vgl. Löhmer, Standhardt: TZI – Die Kunst, sich selbst und eine Gruppe zu leiten. Einführung in die Themenzentrierte Interaktion, S. 26 / 27, 46.

Autorin dieses Artikels: Christina Hennig

* Gendern in der Sprache: Im Sinne der guten Lesbarkeit finden sich in den Beiträge mal die männliche, mal die weibliche Form für Klient*innen in wechselnder Kombination mit der männlichen oder der weiblichen Form von Berater*innen. Gemeint sind Menschen aller geschlechtlichen Orientierung.