Schatten und Dämonen
Schlagworte
Schatten, Schattenarbeit, Schattenaspekt, Persona, Individuation, Projektion, Dämonen, Dämonenfüttern, Unterbewusstsein, blinder Fleck, C.G. Jung, Verena Kast, Tsültrim Allione
Einsatz in der CoreDynamik
Ausbildungsseminar 2.4: Schatten- und Dämonenseminar
Definition
Schatten sind Persönlichkeitsanteile, die unbewusst auf unser Verhalten wirken. Unbewusst, weil sie abgespalten oder unterdrückt sind, oder weil sie als blinder Fleck für uns nicht wahrnehmbar sind. Der Dämonenbegriff umfasst zusätzlich alle unsere Regungen, die uns an einem freien Leben hindern.
Erläuterung
In der Psychologie C.G. Jungs ist der Schatten die Kehrseite unserer Persona (griech. = Maske). Persona nennt Jung denjenigen Teil der Persönlichkeit, der unserer sozialen Umwelt zugewandt ist. Mit unserer Persona zeigen wir in der Öffentlichkeit all die vorteilhaften Eigenschaften, die wir uns zuschreiben oder denen wir gerecht werden wollen. Dieser Teil der Persönlichkeit sorgt für ein normatives, sozialverträgliches und von uns selbst kontrolliertes Verhalten. Damit schützen wir das individuelle Ich, wir gewinnen Sicherheit in Gruppen und im gesellschaftlichen Leben.
Schatten hingegen sind die von uns negativ bewerteten, die sozial unerwünschten und daher unterdrückten Teile der Persönlichkeit. Sie sind die nicht gelebten Persönlichkeitsanteile, die von unserer Psyche ins Unbewusste abgeschoben werden. In den ersten Lebensjahren entwickeln wir Schatten dadurch, dass wir mit Erwartungen, Geboten und Verboten konfrontiert werden: „So ist es richtig!“ oder „Das macht man nicht, schäm Dich!“ Kinder wollen geliebt werden und ein Weg dahin ist, den Forderungen der Bezugspersonen zu folgen. Zugehörigkeit ist ein zentrales Grundbedürfnis. Es ist eine natürliche Funktion des Organismus, Regungen zu unterdrücken, die unser Gefühl von Zugehörigkeit gefährden. Weil dies bei Heranwachsenden vor allem unbewusst geschieht, verschwinden sozial unerwünschte oder nicht beantwortete Impulse scheinbar aus unserem Repertoire von Denken, Fühlen und Handeln. Dieser Mechanismus bleibt, wenn unreflektiert, unser gesamtes Leben über aktiv.
Ohne davon zu wissen, kostet es uns viel Energie, unsere Schatten zu verbergen. Energie, die uns in unserer Präsenz und unserer Gestaltungsfähigkeit im Hier und Jetzt fehlt. Wenn wir uns zum Beispiel sehr darauf konzentrieren, in einem Dialog unsere Souveränität zu beweisen, um unser Gefühl der Minderwertigkeit (Schatten) zu verbergen, geht dies auf Kosten unserer Resonanzfähigkeit im Kontakt. Wir übersehen Regungen unseres Gegenübers und versäumen, auf einen spannenden Punkt einzugehen, den er gestreift hat. Positives Feedback perlt an unserem souverän überspielten Schatten ab, anstatt dass wir es aufnehmen und uns daran nähren können. Oder wir merken gar nicht, dass unser Gesprächspartner kaum zu Wort kommt, weil wir ohne Punkt und Komma reden, um unser Engagement unter Beweis zu stellen.
Nach Jung ist eine persönliche Ganzwerdung (Individuation) nur dadurch möglich, dass wir uns mit unseren Schatten auseinandersetzen und sie in unsere Gesamtpersönlichkeit integrieren. Werden die Schatten nicht integriert, also als Teil von uns anerkannt und aufgenommen, kann es zu Projektionen kommen: So reagieren wir bisweilen heftig auf Menschen, die genau jene Eigenschaften repräsentieren, die wir in uns selbst nicht wahrnehmen wollen und unterdrückt halten. Oder wir idealisieren bestimmte Menschen, weil sie Eigenschaften haben, die wir uns nicht zugestehen. So könnten wir zum Beispiel eine Frau ablehnen, die sich nicht schminkt und Kleidung aus Naturmaterialien bevorzugt. Wir belegen sie mit dem Etikett „Ökotante“ und verbergen dabei vor uns selbst, dass wir uns in Wahrheit mit großem Aufwand herausputzen, um nur ja ein attraktives, modernes und strahlendes Bild abzugeben. Eine Fassade, welche die tiefe Sorge verbirgt, dass wir allein durch unser Wesen, unsere Stärken und unser natürliches Äußeres nicht genügen könnten. Schatten können auch in Familiensystemen oder Kulturkreisen wirksam sein. Kollektive Projektionen der dunklen unbewussten Seite sind klassische Sündenbock-Szenarien und können in Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Homophobie münden. Traditionelle Feste wie die Fastnacht oder heute der Brauch von Halloween sind Ausdruck der gesellschaftlichen Kanalisierung von Schattenthemen.
Verena Kast, analytische Psychologin und Psychotherapeutin, definiert anknüpfend an C.G. Jung drei „Kategorien“ von Schatten:
a) Aspekte unserer Persönlichkeit, die wir ablehnen und von denen wir nicht wollen, dass sie von anderen gesehen werden (z.B. unser Gefühl von unersättlicher Gier)
b) Unbewusste Anteile unserer Persönlichkeit (z.B. selbst nicht wahrgenommene Arroganz, die hinter Schüchternheit versteckt ist)
c) Die Gesamtheit unseres Unbewussten (worin sämtliche genetischen Informationen, alle unsere Erfahrungen und unsere Prägungen gespeichert sind und auf unser Denken, Fühlen und Handeln wirken, ohne dass wir es merken).
Der Ausdruck „Dämonen“ wiederum, wurde von der Amerikanerin und ehemaligen budddhistischen Nonne Tsültrim Allione aus dem tibetischen Buddhismus in die westliche Psychologie eingebracht. Damit machte sie die mehr als 900 Jahre alte »Chöd-Praxis« für moderne Menschen zugänglich, um Ängste, Krankheiten, Sorgen, Süchte und negative Gefühle zu transformieren.
Allione bezeichnet als Dämon letztlich „alles, was uns an der Befreiung hindert“. Wobei der Ausdruck Befreiung für bewusstes, selbstbestimmtes Denken, Fühlen und Handeln steht. Dämonen können einerseits unbewusste Anteile sein, die sich verborgen in einem Verhalten oder Befinden zeigen, das uns belastet. Oder es sind Regungen, die uns wohl bewusst sind, sich jedoch unserer Kontrolle entziehen und uns Schwierigkeiten bereiten. Flugangst oder der nicht eindämmbare Neid auf die Kollegin* wären Beispiele dafür. Zudem greift Tsültrim Allione auch das Festhalten an Hoffnungen und Wünschen auf, welches ebenfalls hinderlich und einengend sein kann. Solche Traumbilder davon, wie wir oder unser Leben sein sollten, können unseren Blick für reale Ressourcen versperren und schränken uns damit ein. Diese Obsessionen nennt sie »Abgötter«. Gemeint sind damit z.B. Fixierungen auf eine bestimmte berufliche Laufbahn, bei der sich der Erfolg real aber vielleicht nicht einstellen will. Oder das Festhalten an eine Partnerschaft, die sich in Wahrheit schon lange verlebt hat. Genauso wie einen bestimmten Lebensentwurf mit Kindern, die möglicherweise nicht kommen wollen oder ein Ideal als Supersportler, an dem wir unsere Kräfte aufreiben und die Gelenke verschleißen.
Integration erfolgt nach Allione über die Übung des Dämonenfütterns. Damit wenden wir uns solchen einengenden Selbstkonzepten oder belastenden Persönlichkeitsregungen mit großer Aufmerksamkeit zu und erforschen ihre Beschaffenheit, indem wir sie als Gestalt externalisieren, mit der wir in den Dialog gehen können. Auf diese Weise nähern wir uns dem eigentlichen menschlichen Bedürfnis hinter der Gestalt des Dämons oder Abgotts. Und dieser Kern ist, wenn wir ihn als unser Bedürfnis wahrnehmen, in seiner Natur überhaupt nicht einengend oder belastend. Das Kräfteverhältnis verändert sich, wir müssen uns nicht mehr bedroht fühlen und uns auch nicht mehr davor schützen oder gar dagegen wehren. Durch Zuwendung und „füttern“ mit dem, was diese innere Gestalt in Wahrheit braucht, kann sich der frühere Dämon transformieren und wird zu einem Verbündeten. Dieser verkörpert unseren tatsächlichen lebendigen Impuls, der unterdrückt wurde oder nicht genug Raum bekam.
Das große Missverständnis im Umgang mit Schatten und Dämonen ist, dass man sie bekämpfen müsse. Durch ein Ankämpfen verhärten wir die Ablehnung. Das Abgelehnte wird nur noch unangenehmer, der Schatten noch düsterer, der Dämon noch größer und furchteinflößender. Verena Kast spricht von drei Stufen im Umgang mit den Schatten:
– Schattensensibilität: ein Bewusstsein für die Fähigkeit unserer Psyche, als „gefährlich“ eingestufte Impulse zu verbergen
– Schattenakzeptanz: ein wohlwollendes Hinschauen und Anerkennen dieser Aspekte unserer Persönlichkeit
– Schattenintegration: die Bedürfnisse und Impulse, die sich im Schatten verbergen erkennen und Raum dafür schaffen
Tsültrim Allione geht mit ihrer Praxis des Dämonenfütterns noch einen Schritt weiter zur Transformation der Dämonen und Abgötter. Indem die darin enthaltenen Bedürfnisse gestillt werden, verwandelt sich der Dämon in einen Verbündeten, der symbolisch für jene Kraft steht, die in dem Dämon gebunden war und uns nun zur Verfügung steht. So kann z.B. aus dem Dämon der Anstrengung, wenn er ausreichend mit dem Nektar der Lebendigkeit gefüttert wurde, als Verbündete eine Nymphe erwachsen, die für den Zugang zu Mußezeit, zur Poesie und zu der Schönheit des Lebens steht.
Besonderheiten in der CoreDynamik
In der CoreDynamik-Ausbildung geht es uns darum, die Lebendigkeit, die Kraft und die Genussfähigkeit freizusetzen, die im Schatten gebunden sind. Das geschieht, nachdem bereits eine ausführliche Klärung und Stabilisierung der Persönlichkeit durch intensive Selbsterfahrung stattgefunden hat. Der Kontakt zu den eigenen Ressourcen ist für die Teilnehmenden inzwischen so verlässlich und leicht zugänglich, dass sie sich mit großer Ehrlichkeit und gesundem Selbstvertrauen den dunklen Seiten ihrer Persönlichkeit zuwenden können. Die Grundhaltung in der Arbeit ist, dass Heilung und Ganzwerdung der Persönlichkeit immer mit der Integration aller inneren Anteile einhergehen, während Kampf oder Abspaltung zusätzlich Energie bindet. Daher geht es im Umgang mit den Schatten und Dämonen immer um ein schrittweises Kennenlernen und um ein bewertungsfreies Forschen, was im Kern darin enthalten ist. In der Arbeit selbst verbinden wir eine Kombination verschiedener Ansätze zu einem didaktischen Bogen:
• Selbstreflexion durch eine vorbereitende Sammlung aller Schatten
• Feedback durch die vertrauten Gruppenteilnehmer zu den individuellen Ressourcen, sowie zu Schatten und blinden Flecken
• Dialogisches Arbeiten mit ausgewählten Schatten mit Hilfe der Klaviatur aller coredynamischer Arbeitsmethoden
• Erlernen der alltagstauglichen Technik zur Transformation von Schatten in lebendige Kraft mit Hilfe des Dämonenfütterns nach Tsültrim Allione
• Bewusstseinserweiterte Begegnung mit der Kraft, die dem vermeintlich Dunklen innewohnt im Rahmen einer Atemreise
• Methodisches Training und didaktische Reflexion der verschiedenen Techniken zum Aufbau der eigenen Kompetenz der Schattenintegration und Dämonentransformation in der Arbeit mit Menschen
In der therapeutischen Einzelbegleitung, sowie im Coaching und sogar in Unternehmenstrainings können situations- und bedarfsgerecht ausgewählte Ansätze aus diesem Portfolio eingesetzt werden.
Hier weiterlesen
C.G. Jung, 2001 Archetypen des koll. Unbewußten. München: Deutscher Taschenbuchverlag
Verena Kast, 2016. Der Schatten in uns – Die Subversive Lebenskraft. Ostfildern: Patmos Verlag
Tsültrim Allione, 2009. Den Dämonen Nahrung geben. Buddhistische Techniken der Konfliktlösung. Göttingen: Arkana Verlag
Autorinnen dieses Artikels: Christina Hennig und Dr. Conny Stroh
* Gendern in der Sprache: Im Sinne der guten Lesbarkeit finden sich in den Beiträge mal die männliche, mal die weibliche Form für Klient*innen in wechselnder Kombination mit der männlichen oder der weiblichen Form von Berater*innen. Gemeint sind Menschen aller geschlechtlichen Orientierung.