Der Diagnosebogen

Schlagwörter

Binäres Modell, MBTI, Rad des Lebens, Antreiber, Bremser, Erlauber, Grundüberzeugung, Entwicklungsarchetypen, Riemann-Thomann-Modell, starke Deutung

Einsatz in der CoreDynamik

Der Diagnosebogen ist ein Werkzeug zur Anamnese zu Beginn der Zusammenarbeit mit einem Klienten. Er kann auch therapie- oder coachingbegleitend als Sammel- und Überblicksmedium für Begleiter* und Klienten dienen. Näher besprochen wird der Diagnosebogen im Ausbildungsmodul 3.3: Praxis II

Definition

Der Diagnosebogen stellt einen Überblick über grundlegende Modelle dar, die wir bei CoreDynamik einsetzen, damit ein Mensch im Rahmen der therapeutischen Zusammenarbeit seine Persönlichkeit in ihren Qualitäten, Werten und Mustern erforschen und einen Überblick darüber gewinnen kann.

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Erläuterung

Die Modelle, aus denen der coredynamische Diagnosebogen zusammengesetzt ist, sind:

  • Das binäre Modell der Weltwahrnehmung
  • Der Myers-Briggs-Typenindikator
  • Das Rad des Lebens, eine neuere Version der Stabilitätssäulen
  • Skriptbotschaften aus der Transaktionsanalyse: Antreiber-, Bremser- und Erlaubersätze
  • Die Grundüberzeugungen
  • Die Entwicklungsarchetypen
  • Das Riemann-Thomann-Modell

Die Zusammenstellung dieser bewährten Modelle in einem Überblick ermöglicht es dem Therapeuten Schritt für Schritt seinen Klienten durch diese verschiedenen Betrachtungsweisen seines Erlebens hindurch zu führen und wichtige Erkenntnisse auf dem Bogen festzuhalten. Der Klient kann seinen eigenen Bogen haben und seine eigenen Notizen machen. So entsteht ein wertvoller Überblick, der es möglich macht, Verbindungen zu erkennen, sich gegenseitig kompensierende oder verstärkende Muster zu sehen, wichtige Ressourcen und Schmerzpunkte im Kontakt mit sich, mit anderen und mit der Welt in einen sinnhaften Zusammenhang zu stellen. Dies wiederum gibt Orientierung und Verstehen, was an sich schon heilsam ist und die gesunde Basis für Weiterentwicklung darstellt.

Der Diagnosebogen ist auch eine gute Grundlage für die „starke Deutung“. So nennen wir bei CoreDynamik die Zusammenfassende Wiedergabe wichtiger Zusammenhänge durch den Therapeuten. Einsetzbar ist sie nach der Anamnese, bzw. dem Erstgespräch, aber auch im Fortlauf der Zusammenarbeit. Während wir grundsätzlich oft dem Klienten den Vortritt in der Deutung seiner Erkenntnisse lassen, ist dies eine starke Intervention des Therapeuten. In wenigen Sätzen fasst er zusammen, welche Dynamiken er besonders stark wahrnimmt, an welcher Stelle er das stärkste Entwicklungsbedürfnis beim Klienten spürt und welche Ressourcen er sehen kann, die für diesen Weg hilfreich sein können. Dies ist ein entscheidender Punkt in der Therapeuten-Klienten-Beziehung, denn der Klient kann überprüfen, ob er sich gesehen und richtig verstanden fühlt.

Eine Gefahr bei jedwedem Ordnungssystem von Mustern und Typen ist die des Schubladendenkens. Bei CoreDynamik verstehen wir „Diagnose“ als phänomenologische Hypothesenbildung. Die aufmerksame Beobachtung dessen, was ist, was sichtbar und spürbar ist (phänomenologisch) verbinden wir dabei mit unserer Erfahrung und der Kenntnis von Mustern und Typen und stellen auf diesem Wege Vermutungen über Ursache-Wirkungszusammenhänge her. Die Diagnose verstehen wir nicht als Etikett, sondern als einen Fingerzeig, der einen Forschungsweg aufzeigt auf dem wir den Klienten begleiten, seine Realität zu Untersuchen sich darin zu orientieren, Lösungswege für Blockierungen zu finden und neue Wege zu gestalten. Die Basis für die Begleitung ist einerseits das coredynamische Landkartenbewusstsein (Modellkenntnis) des Therapeuten. Andererseits seine Intuition, welche Intervention eine Resonanz beim Klienten hervorrufen könnte, die diesen näher an seine Wahrheit heranführt. Der Hypothese des Begleiters steht jederzeit die Selbstwahrnehmung des Klienten gegenüber, die wir durch eine Erhöhung des Selbst-Bewusstseins, der Körperwahrnehmung und des Vertrauens auf die eigene Intuition kontinuierlich stärken und der wir grundsätzlich den Vortritt vor der Deutung des Therapeuten geben („Der Klient hat immer Recht“).

Bewährt hat sich der Diagnosebogen auch im Training oder in der Einzelbegleitung, wenn es um die Aufnahme verschiedener Weltsichten geht, also um eine Erhöhung des Verständnisses der eigenen Person, sowie der verstehensbasierten Toleranz gegenüber der Andersartigkeit und Verschiedenheit anderer Individuen. Wir nennen diese Arbeit „WisidiWamPa und WisidiWasPa“, ein Akronym für „Wie sieht die Welt aus meiner Perspektive aus?“ und „Wie sieht die Welt aus seiner Perspektive aus?“. Hierbei wird neben dem eigenen Diagnosebogen ein weiterer für einen Beziehungspartner oder eine Arbeitskollegin ausgefüllt. Letzterer kann natürlich nur hypothesenbasiert bearbeitet werden nach den Leitfragen „Wie erlebe ich diese Person, was denke ich, was ihre Werte, Motive und Ressourcen sind?“ Allein diese Fragestellung erhöht und differenziert die Aufmerksamkeit für den anderen Menschen, was der Beziehung Energie zuführt. Durch das Nebeneinanderlegen der beiden ausgefüllten Diagnosebögen werden komplementäre Muster, Gemeinsamkeiten und Reibungspotenziale sichtbar. Wenn ich verstehe, dass ich meine Kollegin als Dauertyp erlebe, während mein Verhalten von einer starken Wechseldynamik gekennzeichnet ist (Riemann-Thomann-Modell), dann muss ich mich nicht mehr darüber ärgern, dass ich mich andauernd blockiert fühle. Stattdessen kann ich beginnen, Wege auszuprobieren, wie ihren Bedürfnissen Rechnung getragen werden kann damit meine Kreativität und Impulsivität mehr Raum bekommt.

Für Überblick, Orientierung und das Feststellen von Zusammenhängen ist der Diagnosebogen sehr wertvoll. Im Coaching kommt er in seiner Vollständigkeit kaum zum Einsatz, da das Anliegen des Klienten oft so zielgerichtet ist, dass das jeweils passende Modell genügt. Wesentlicher als das Anwenden der klassischen Modelle ist es ohnehin, mit der Anwendung von Modellen grundsätzlich vertraut zu sein, ihre Möglichkeiten und Grenzen einschätzen zu können und sie flexibel mit passenden Methoden und Medien einsetzen zu können. Auch der Diagnosebogen ist ein lebendiges Konstrukt, das sich weiter entwickelt.

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Bernhard Mack. 2000. Führungsfaktor Menschenkenntnis. Landsberg/Lech: Verlag Moderne Industrie

Autorin dieses Artikels: Christina Hennig

* Gendern in der Sprache: Im Sinne der guten Lesbarkeit finden sich in den Beiträge mal die männliche, mal die weibliche Form für Klient*innen in wechselnder Kombination mit der männlichen oder der weiblichen Form von Berater*innen. Gemeint sind Menschen aller geschlechtlichen Orientierung.