Präpersonal, personal und transpersonal
Schlagworte
Persönlichkeit, personal, transpersonal, Individuation, Ich-Werdung
Einsatz in der CoreDynamik
Ausbildungssemniar 3.1: Diamant, Essenz, Bewusstseinserweiterung – Der Weg der Individuation und die Öffnung zu einem transpersonalen Bewusstsein ist ein roter Faden, der sich über den didaktischen Bogen der gesamten Ausbildung erstreckt.
Definition
Als präpersonal, personal und transpersonal bezeichnen wir verschiedene Reifestadien der Selbstwahrnehmung des Individuums in Bezug auf die Mitwelt und das große Ganze.
Erläuterung
Das Konzept von Prä- und Transpersonal wird vor allem durch Ken Wilber in seinem integralen Ansatz beschrieben. Die Gemeinsamkeit des präpersonalen und transpersonalen Bewusstseinszustands ist das Verbunden- und Aufgehobensein in etwas, was größer ist, als die Grenzen des eigenen Selbst. Zwischen den beiden Reifestadien liegt der Prozess der personalen Entwicklung, der Individuation, also der Ich-Werdung. Ich-Werdung bedeutet dabei das Wissen um die eigenen Grenzen und das Spüren, wenn diese berührt werden. Ebenso dazu gehört die Wahrnehmung persönlicher Bedürfnisse, Gefühle, Impulse und Werte. Und schließlich umfasst die Individuation auch den Zugang zu den eigenen Ressourcen und um diesen Bedürfnissen und Impulsen Ausdruck zu verleihen und ihnen nachzukommen, bzw. die Fähigkeit, sich gegebenenfalls damit zurück zu halten und Gefühle zu containen.
Besonders plastisch begreifbar ist dies an der unterschiedlichen Art wie das menschliche Grundbedürfnis nach Verbindung und Zugehörigkeit in diesen Reifestadien der persönlichen Entwicklung empfunden wird: Präpersonal ist das Bewusstsein für die eigenen Grenzen noch nicht vorhanden, Bedürfnisse können nicht differenziert und artikuliert werden und die Ressourcen zu ihrer Befriedigung sind ebenso wenig ausgebildet, wie das Containment sie zurück zu stellen. Das präpersonale Bedürfnis ist der Hunger des Säuglings nach seiner Mutter, die ihm Wärme, Schutz und Nahrung gibt. Es ist geprägt von völliger Abhängigkeit, die in Hilflosigkeit umschlägt, wenn niemand da ist, um Fürsorge zu geben. Bei einem erwachsenen Menschen kann sich ein solcher präpersonaler Ichzustand als Opferhaltung zeigen, in der er kein Verständnis dafür findet, was sein eigener Anteil an der Situation ist, an welcher Stelle er Grenzen ziehen könnte und müsste und welche Ressourcen ihm zur Verfügung ständen, um seine Bedürfnisse selbst zu stillen. So kann die Botschaft der Partnerin* sein: „Du bist nicht genug für mich da, ich brauche mehr, wir gehören doch zusammen, ich kann ohne dich nicht leben, du lässt mich verhungern, du bist schuld daran, dass es mir so schlecht geht!“
Auch eine ausgereifte Persönlichkeit verspürt das Bedürfnis nach Verbindung und Zugehörigkeit. Der erwachsene Mensch kann es bewusst wahrnehmen, und es kann auch als ein schmerzender Mangel spürbar sein. Jedoch bleibt übernimmt er selbst die Verantwortung dafür und ist in der Lage, Alternativen zu generieren. So könnte die Botschaft an die Partnerin sein: Ich brauche viel Wärme und Austausch. Es macht mich traurig, dass wir so wenig Zeit zusammen haben, denn es tut mir gut mit dir zusammen zu sein. Ich genieße es auch, mich mit lieben Freunden treffe oder Zeit mit meinem Bruder zu verbringen. Ein Teil meiner Bedürftigkeit bleibt offen und schmerzt, weil ich mir mehr Nähe mit dir wünsche. Ich erkenne und respektiere deine Beweggründe und sehe dankbar, wo du mir bereits entgegen kommst. Lass uns weiter an Möglichkeiten arbeiten, unser beider Bedürfnisse und Verpflichtungen in unserem gemeinsamen Leben unterzubringen.
Die transpersonale Weltsicht führt in der Selbstwahrnehmung über die eigene Person hinaus. Das Bewusstsein für die persönliche Einzigartigkeit bleibt, auch wenn sich das Individuum als Teil einer größeren Einheit des Ganzen empfindet. Beziehungen und die damit verbundenen Gefühle bleiben real wahrnehmbar, doch sie stehen in einem größeren Kontext und relativieren sich dadurch. So kann persönliches Leid den Boden bereiten für die Ausbildung von Fähigkeiten oder eine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit oder die Bereitschaft, neue Ufer zu erkunden und neue Verbindungen einzugehen. Die Botschaft an die Partnerin könnte dann lauten: Ich erkenne, dass ich mich jetzt gerade bedürftig fühle und dass ich den Wunsch nach mehr Verbindung mit dir habe. Aha, soso. Ich nehme es an und spüre die Sehnsucht in mir und gebe mich ihrem Lied hin, welches eine Urmelodie des Menschseins ist. Dabei bleibe wach im Hier und Jetzt und lasse mich davon überraschen, wie das Leben einen Atemzug später schmeckt. Ich schaue, was ich für mich tun kann und teile meine Empfindung mit dir. Darauf vertrauend, dass es gut ist, was auch immer dein Impuls dazu ist und welcher von mir darauf folgen mag.
Man spricht von einer Prä- und Trans-Verwechselung, wenn das grenzenlose Bewusstsein im Säuglingsstadium als spirituelle Allverbundenheit gedeutet wird, die es durch spirituelle Praxis zurückzugewinnen gilt, nachdem sie durch die Sozialisation verlernt wurde. Das Risiko einer solchen Betrachtungsweise liegt darin, dass die Individuation unterbleibt und somit keine stabile und selbstverantwortliche Persönlichkeit erwächst. Die fehlende Selbsterkenntnis führt zu einer Verdrängung unerwünschter oder überfordernder Erfahrungen und Persönlichkeitsanteile ins Unbewusste, von wo aus sie unreflektiert wirksam sind. Durch fehlendes Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse, Wahrheiten und Ressourcen entsteht die Gefahr von Abhängigkeit, fehlender Urteilskraft und unreflektierter Gefolgschaft spiritueller Lehren und gesellschaftlicher Strömungen, welche Zugehörigkeit, Bedeutsamkeit und Wirksamkeit versprechen. Der lebendige und kreative Kern wird umschlossen von Schichten verdrängter Gefühle und einem übernommener Konzepte, die nicht selbst beurteilt und flexibel gehandhabt werden können. Der Nährboden für Dogmatismus und Fanatismus ist gelegt.
Quellen: Ken Wilber, Terry Patten, Adam Leonard, Marco Morelli. 2015. Integrale Lebenspraxis. München: Kösel-Verlag
Besonderheiten in der CoreDynamik
Die dreijährige Ausbildung verfolgt den Weg, die Individuation zu unterstützen, um dann die Tore zur Transpersonalität zu erforschen. Der Ausdruck von Gefühlen im ersten Modul, die Arbeit mit Skriptbotschaften und dem Lebenspanorama im Biografieseminar, der Umgang mit Polaritäten und mit Schmerz im Herzseminar und der eigene Ausdruck im Musikseminar sind wesentliche Schritte zur Selbstwerdung. Erst hier kommt die erste Atemreise, die den Zugang zu transpersonalen Ebenen einleitet. In den weiteren Modulen wird einerseits die eigene Persönlichkeit weiter erforscht, geklärt und in ihrer Beweglichkeit stabilisiert, während andererseits existenzielle Fragestellungen die Wahrnehmung des Ich in der Welt und in verschiedenen Bewusstseinsdimensionen zunehmend weiten. Der Höhepunkt sowohl der Individuation, als auch des Verbundenheitserlebens mit der Schöpfung erfolgt am Übergang vom zweiten in das dritte Ausbildungsjahr, womit der Bogen von zwei Jahren Selbsterfahrung einen runden Abschluss erhält.
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Autorin dieses Artikels: Christina Hennig
* Gendern in der Sprache: Im Sinne der guten Lesbarkeit finden sich in den Beiträge mal die männliche, mal die weibliche Form für Klient*innen in wechselnder Kombination mit der männlichen oder der weiblichen Form von Berater*innen. Gemeint sind Menschen aller geschlechtlichen Orientierung.